Der 01.01.2016 ist ein wichtiges Datum für die „Barrierefreiheit“. Grund genug, diesen Themenbereich etwas genauer zu beleuchten. Dazu habe ich letztes Wochenende an dem Seminar „Barrierefrei vermitteln“ von Dr. Doris Prenn teilgenommen, welches vom Museumsmanagement NÖ veranstaltet wurde.
Gesetze/Fristen
Viele Tourismusbetriebe und Museen haben erst spät realisiert, dass ab 01.01.2016 ein neues Zeitalter hinsichtlich barrierefreier Zugänge beginnt. Tatsächlich wurde bereits 2006 beschlossen, dass alle Neu-, Zu- und Umbauten verpflichtend barrierefrei ausgeführt werden müssen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz = BGStG).
Für Gebäude, die vor dem 01.01.2006 errichtet worden sind, gilt eine Übergangsbestimmung zu baulichen Veränderungen zur Barrierefreiheit, deren Frist mit 31.12.2015 ausläuft. Nähere, speziell auf die Bedürfnisse von Tourismusbetrieben zugeschnittene Informationen findet man in der Broschüre des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Zur Notwendigkeit von Barrierefreiheit
Viele Einzelpersonen oder Betriebe erachten Barrierefreiheit vielleicht als unrentabel, da es sie oder ihre KundInnen nicht betreffen würde. Hierzu sei gesagt, dass „Barrierefreiheit“ bedeutet, ein Gebäude/Thema wäre für ALLE zugänglich, also sowohl physisch als auch inhaltlich. Sie ist demnach ein Gewinn für alle und nicht nur für wenige.
Abseits dessen, müssen wir uns bewusst sein, dass es „den Standardmensch“ nicht gibt. Wir haben alle unterschiedliche Größe, Umfang, Gewicht, Kondition, Bildung etc. Hinzu kommt, dass für 1,7 Millionen ÖsterreicherInnen Barrierefreiheit essenziell ist:
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist in unterschiedlicher Intensität mit Mobilitätseinschränkungen konfrontiert. Dies betrifft nicht nur die 50.000 RollstuhlbenützerInnen, sondern ebenso Menschen mit Rollator, Kinderwägen, Krücken, Stock etc. Nicht hinzugezählt sind hier jene Personen, die temporär in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, so aufgrund einer Operation, eines Sportunfalls o.ä. und daher zum Beispiel für einige Wochen mit Gipsfuß durch die Gegend humpeln.
318.000 Menschen sind sehbeeinträchtigt, davon 3.000 vollständig erblindet und 202.000 sind hörbeeinträchtigt, davon 2.000 Personen gehörlos (Quelle: Statistik Austria).
Hinsichtlich Lernbeeinträchtigungen ist erwähnenswert, dass 960.000 erwachsene Österreicher über schlechte Lese- und Schreibkompetenzen verfügen, sodass sie nicht sinnentnehmend lesen können (Quelle: Standard).
Des Weiteren ist laut Statistik Austria bis 2050 mit einer Verdreifachung der Über-80-Jährigen zu rechnen (Quelle: Broschüre Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz). Diese demografische Entwicklung führt vor Augen, dass ebenso wir alle, die jetzt noch mit Leichtigkeit die Stufen bei der U-Bahn hinaufflitzen, alsbald auf Rolltreppen und Lifte angewiesen sein werden.
Angesichts dieser Zahlen sollte nun auf der Hand liegen, wieso Barrierefreiheit nicht nur für „einige wenige“ relevant ist, sondern für uns alle. Es geht um die Inklusion jedes einzelnen Menschen, sodass er – unabhängig von ev. Beeinträchtigungen – Zugang zu baulicher Umwelt, Information und Kommunikation hat (designed for all).
Barrierefreiheit in der Kulturvermittlung
Als Kulturvermittlerin war ich freilich schon mit Besuchergruppen konfrontiert, die mit unterschiedlichen Einschränkungen zurechtkamen. Selbstverständlich ist auch, dass in diesen Fällen sehr flexibel und behutsam auf die Situation reagiert und die Führung in Absprache mit den Betroffenen umgestaltet werden muss – sei es auch nur, für eine übergewichtige Amerikanergruppe längere Wegzeiten einzuplanen.
Bei der Entwicklung barrierefreier Vermittlungsprogramme ist es unerlässlich, nicht für, sondern immer mit der Zielgruppe zu konzeptionieren. Denn jede Gruppe hat spezielle Bedürfnisse, die es zu erfragen gilt, um den Zugang zur Materie zu erleichtern (physisch und inhaltlich). Rampen beispielsweise sind für RollstuhlfahrerInnen unerlässlich, für Blinde können sie aber zur Stolperfalle werden wenn sie nicht effizient gekennzeichnet sind. Da man niemals alles bedenken und berücksichtigen kann, empfiehlt sich daher die Zusammenarbeit mit Fokusgruppen, sodass durch den Austausch ein gemeinschaftlicher Konsens gefunden werden kann.
Sensibilisierung, Verständnis und Toleranz auf beiden Seiten sind eine Grundvoraussetzung für eine Verbesserung der Situation. In manchen Fällen wird eine komplette barrierefreie Umsetzung nämlich nicht möglich sein. Würde man eine antike Römerstraße asphaltieren, sodass man mit dem Rollstuhl oder Kinderwagen gut zu den Häusern zufahren kann, so würde kein Gast mehr kommen. Das Erlebnis auf einer fast 2.000 Jahre alten Straße zu gehen wäre verloren – abseits der denkmalpflegerischen Vorschriften, die es einzuhalten gilt. Es ist also offensichtlich, dass Barrierefreiheit gewisse Grenzen gesetzt sind. Mit Zusammenhalt und kreativen Lösungsansätzen sind diese jedoch zu lösen.