Letzte Woche wurde in einer großen Pressekonferenz der jüngste Sensationsfund Carnuntums präsentiert. Mit geophysikalischen Prospektionsmethoden entdeckten Wolfgang Neubauer und sein Team die Quartiere der Statthaltergarde. Diese Information wurde zwar medial groß in Szene gesetzt, aber ein Bekannter fragte mich: Was ist denn daran jetzt so toll? Falls sich das mehrere Leser gefragt haben, hier kommt die Antwort nun ausführlich und schriftlich:
Ab dem 2. Jh. n. Chr. muss es in Carnuntum einen Sitz des Statthalters von Oberpannonien gegeben haben. Die Funde dazu sind leider etwas dürftig. Im Bereich der Militärstadt (canabae), etwa 330 m westlich des Legionslagers wurde schon Anfang des 20. Jh. während der Ausgrabungen unter Max Groller ein Gebäude von großer Dimension entdeckt, welches höchstwahrscheinlich zur Limesstraße hin orientiert war. Durch die Donau und deren veränderten Flusslauf wurde jedoch dessen nördlicher Teil massiv in Mitleidenschaft gezogen. Ein Raum wurde vollständig ergraben, alle anderen nur teilweise. Diese wiesen jedoch höchst qualitative Fußbodenmosaike sowie Malereien auf und waren sogar beheizt. Zwei rechteckige Räume haben mit einer Ausdehnung von mehr als 20 m Länge durchaus Saalcharakter. In einem davon fand man einen zweisprachigen Altar mit Weihung an die Göttin Aequitas, der zwischen 247 und 249 n. Chr zu datieren ist. Der in Latein und Griechisch ausgeführte Text nennt einen Lucius Pomponius Protomachus als Stifter. In einem ca. 200 m östlich davon gelegenen Gebäude fand man eine Weihung an die keltische Pferdegöttin Epona. Dieser Altar wurde von den superiumentarii und muliones (Fuhrleuten und Maultiertreibern) des Statthalters in dessen Namen gestiftet und in die Jahre 150–155 n. Chr. datiert. Der Inhalt dieser beiden Steindenkmäler – gemeinsam mit dem als repräsentativ zu bezeichnenden Charakter des teilergrabenen Gebäudes – legen die Vermutung nahe, in dem großflächigen Gebäude am Donauabbruch den Statthalterpalast zu vermuten, in dessen Umgebung sich unter anderem Stallungen für Reittiere befanden.
Ein Statthalter (legatus Augusti pro praetore) war mit umfassenden zivilen und militärischen Aufgaben betraut, die er direkt vom Kaiser erhielt und somit eines großen Verwaltungsapparats bedurfte. Folglich war immer klar, dass es in der näheren Umgebung weitere mit dem Statthalter zusammenhängende Gebäudestrukturen geben musste.
Im Zuge des mehrjährigen Projektes, die Ausdehnung der Carnuntiner Lagerstadt mit geophysikalischen Methoden zu erfassen, wurden derartige Gebäude nun aufgespürt. Auf dem Gebiet südlich des Statthalterpalastes fand man kasernenartige Anlagen mit einem 1,8 ha großen ummauerten Bereich, wie Christian Gugl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 16. Österreichischen Archäologentag berichtete. Neben Unterkünften für die Offiziere sind einfachere Doppelkammern für die Soldaten nachgewiesen. Es liegt nahe, diese als Unterkünfte für die Leibgarde des Statthalters zu interpretieren, nämlich für die Elitereiter (equites singulares) und Fußsoldaten (pedites singulares).
An anderen antiken Stätten wurden ebenfalls derartige Mannschaftsbaracken bzw. Statthalterpaläste gefunden. Das Besondere an dem Carnuntiner Befund ist jedoch, dass erstmals beides nebeneinander nachgewiesen ist. Wie diese beiden Bereiche miteinander kommunizierten und welche Verbindung die Neuentdeckung mit den umliegenden, bisher nachgewiesenen Siedlungsstrukturen hatten, ist noch zu untersuchen und wird sicherlich demnächst publiziert werden. Der Aufbau des Gardelagers, seine Eingliederung in die canabae sowie die oben erwähnten Altäre sind in dem von 7reasons produzierten Film zu sehen.
Solche herausragenden Befunde sind nicht einmal in einer Stadt wie Rom verzeichnet worden, obwohl dort neben umfassenden Grabungsbefunden auch zahlreiche Schriftquellen als Informationen zur Verfügung stehen. Eine derartige Quellendichte ist in Carnuntum nicht gegeben, weil zum Beispiel schriftliche Informationen über Provinzstädte natürlich weitaus seltener als über die Hauptstadt Rom sind. Ferner ist zu bedenken, dass von der einstigen 10 km2 umfassenden Stadt Carnuntum weniger als 1% ausgegraben ist! Als Statthaltersitz und Provinzhauptstadt hatte Carnuntum aber eine herausragende Stelle im römischen Reich inne. Die geophysikalischen Prospektionsmethoden trugen wesentlich dazu bei, die Ausdehnung dieser ca. 50.000 Einwohner beherbergenden Stadt zu erfassen. Des Weiteren wurden seltene Gebäudestrukturen wie die Gladiatorenschule und nun eben auch der Sitz der Statthaltergarde erkannt, welche die Bedeutung des antiken Carnuntums unterstreichen.
In manchen Presseforen habe ich Kommentare von Lesern gesehen wie „schon wieder eine Sensation, was für ein Zufall“. Tatsächlich ist es kein Zufall, sondern strategische Wissenschaft, die hier betrieben wird. Dass regelmäßig neue Erkenntnisse zu Tage treten, ist der fundamentalen Forschung zu verdanken und in einer archäologisch derart gut erhaltenen, weil kaum überbauten Landschaft wenig verwunderlich.
Und zu guter Letzt, da ich auch dies oft gefragt werde: Nein, ausgegraben wird das Gebiet nicht, da es viel zu groß ist und hohe Kosten verursachen würde.
Die wichtigsten Infos zum Statthalterpalast mit weiterführender Literatur: H. Stiglitz – M. Kandler – W. Jobst, Carnuntum, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 6 (Berlin 1977) 626–700 (bes. 595 f. 681–683).