Neulich stapfte der Besucher einer Sammelführung forschen Schrittes auf mich zu und „begrüßte“ mich mit den provokant herausgebrüllten Worten: „Sagen Sie mal, wieso haben Sie hier keine Audioguides?“ Die Menge rund um ihn herum schwieg betreten. Ich begrüßte alle sehr freundlich und erklärte ihm und den anderen Teilnehmern daraufhin in aller Kürze, was ich der werten Leserschaft nun in der Langfassung vermitteln möchte:
1. inhaltliche Ausrichtung
Allem voran kann Ihnen ein Audioguide diese und andere Fragen nicht beantworten, da der Informationsaustausch nur in die Sender-Empfänger-Richtung funktioniert. Per Definition handelt es sich dabei also gar nicht um einen Austausch, bestenfalls um einen Informationsfluss.
Doch auch da stellt sich die Frage, ob der Fluss tatsächlich funktioniert. Ein Audioguide kennt den kulturellen Hintergrund, das persönliche Interessensgebiet und auch den Grund des Museumsbesuches jedes Führungsteilnehmers nicht. Natürlich mache ich am Anfang der Führung keine Vorstellungsrunde, um an diese Details zu gelangen. Aber durch Erfahrung und Empathie bemerkt man bei einigen Besuchern spezielle Signale. Dementsprechend kann die Führung ausgerichtet oder spezielle Geschichten eingebaut werden, von denen man vermutet, dass sie die Teilnehmer interessieren. Manche Gäste binden sich sogar aktiv während der Führung durch Fragen und Kommentare ein, sodass man den Rundgang dementsprechend anpasst. Vereinfacht ausgedrückt: Melden mir zum Beispiel die Teilnehmer, dass sie jedes Jahr hierher kommen, werde ich keine klassische Überblicksführung machen, sondern Spezialthemen vermitteln und neue Forschungen präsentieren.
Der Audioguide erzählt immer die gleiche Geschichte, unabhängig vom Background des Teilnehmers. Der Textinhalt wurde von einer Person oder einem Team gewählt, welches sich „ins Blaue“ überlegte, was Besucher interessieren könnte. Diese Auswahl zu treffen ist unglaublich schwierig, da der Audioguide-Produzent ohne direktes Feedback der Besucher arbeiten muss (gähnende, tratschende am Handy spielende Besucher) und seine Wahl nachträglich auch nicht mehr anpassen kann. Ganz im Gegenteil dazu steht der Kulturvermittler, der durch permanente Flexibilität besticht. Der Audioguide-Text muss inhaltlich und sprachlich alle Zielgruppen bedienen und auch noch spannend aufbereitet und gesprochen sein, damit er „hörbar“ ist und nicht zum langweiligen Hintergrundgedudel während des Rundgangs verkümmert.
Ich persönlich bin grundsätzlich kein Freund von Audioguides, nicht nur der persönlichen Ersetzbarkeit geschuldet. Erst einen einzigen Audioguide habe ich so spannend gefunden, dass ich ihn mir gänzlich angehört habe, nämlich jenen von der Weinerlebniswelt Loisium (Ausschnitte hier zu hören). Bei allen anderen habe ich reingehört und bin dann irgendwann zum Text-Hopping bis zum kompletten Ignorieren übergegangen.
2. Leidenschaft
Das sind nun Fragen an Sie, werte Leserschaft: „Kann ein Audioguide Ihnen die Leidenschaft für die Sache exakt gleich vermitteln wie ein Mitarbeiter, der seit 12 Jahren an diesem Ort arbeitet? Hat ein Audioguide selbst an den Ausgrabungen teilgenommen, die Erde zwischen seinen Fingern gespürt, eiskalte Oktobergrabungen und brütend heiße Augusttage hinter sich gebracht und sich trotzdem die Liebe zum Thema bewahrt?“
Wollen Sie rein sachliche Informationen, dann ist ein Audioguide eindeutig das Richtige für Sie. Aber meines Erachtens ist es da bequemer, daheim am Sofa ein Buch zu lesen. Dafür müssen Sie nicht extra ins Museum gehen.
3. Die Technik ist immer und überall
Ein schöner gemütlicher sonntäglicher Frühlingsmorgen. Das schöne Wetter, die frische Luft will genutzt werden. Nichts wie raus, weit weg von PC und Internet, endlich mal wieder offline sein und sich in einem Freilichtmuseum mit unserer schönen Kultur beschäftigen – und dann bekommt man einen Audioguide in die Hand gedrückt.
Tja, da wollen wir weg von den Bildschirmen und rennen dann erst recht mit einem Kasterl in der Hand herum. Wollen wir das wirklich?
4. Die Ersetzbarkeit oder die Ich-mache-alles-Gesellschaft
Ich komme mir mittlerweile vor, als wäre ich eine One-Person-Company. Ich muss meine Steuererklärung online machen, meine Blumen am Feld selbst schneiden und nun soll ich auch noch meine Einkäufe bei der Supermarktkassa einscannen. Ja hallo, bin ich der einzige, der hier arbeitet? Und wenn ich ins Museum gehe, dann erhalte ich leider oft die Information, dass für Individualgäste keine Führungen angeboten werden. Nur für Gruppen ab 20 Personen mit Führungspauschale von 50 Euro oder mehr, exklusive Eintritte versteht sich.
Ein teurer Spaß für 2 Personen, wenn man bedenkt, dass ich jedes Museum in Österreich mit meinen Steuergeldern mitfinanziere. Aber das sei kein Problem, wird oft an der Kassa geflötet, es gibt ja eine App: “Die können Sie ganz einfach hier auf Ihr Handy laden und schon geht´s los.” Aha, also darf ich mich in der Freizeit auch noch selbst bespaßen und den Beruf des Kulturvermittlers ausüben, indem ich eine App runterlade. Und wenn der Datenempfang nicht gut ist? Mein Datenpaket aufgebraucht ist? Ich kein Smartphone habe? Mein Akku leer ist? Ich einfach keine Lust habe, mein Handy ständig in der Hand zu halten wie ein Teenager, dessen Finger mit dem Teil mittlerweile zu einer undefinierbaren Masse verschmolzen sind? Oder ich den sozialen Austausch und Diskurs mit „echten“ Menschen schätze? Tja, selbst schuld, wer so unmodern ist.
Und so wird man plötzlich zum Steuererklärer, Florist, Supermarktkassier, Kulturvermittler, und ich bin gespannt, wann ich endlich mit einer einfachen App auch noch zum Chirurgen werde, um kleine und große OPs bequem zuhause durchführen zu können.
Bei Apps besteht überdies das Problem, wie die App aufs Smartphone kommt. Die Urmeer-APP der Fossilienwelt in Stetten beispielsweise ist so groß, dass man sie zuhause über WLan herunterladen muss. Die Besucherbewertungen berichten von regelmäßigen Programmabstürzen, die den Benutzer sicherlich frustrieren.
5. geografische Flexibilität
Ein schöner Juni-Vormittag in irgendeinem bekannten Museum in Österreich. Da können Sie relativ sicher sein, auf Horden von Schulklassen zu treffen, die die letzten Wochen für Schulausflüge verwenden. Die Schlussfolgerung: Das Museum an Juni-Vormittagen meiden? Weit gefehlt! Der Kulturvermittler Ihres Vertrauens lotst Sie gekonnt durch die Massen, findet immer ein ruhiges Plätzchen für Sie und wartet mit Geschichten abseits der ausgetretenen Pfade auf. Im Gegensatz zum Audioguide erkennt er potenzielle „Stausituationen“ und kann sie umgehen, bevor Sie diese überhaupt bemerken, ist fähig persönliche Erlebnisse einzubauen und private Lieblingsplätzchen zu zeigen. In Carnuntum beispielsweise führe ich meine Gäste gerne auf ein sonst von Besuchern vernachlässigtes Eckchen, wo an ganz bestimmten Tagen die Luft von herrlichem Rosenduft erfüllt ist. Wieder ein Nachteil des Audioguides, er verfügt über keine menschlichen Sinne. Daher merkt er auch nicht, wenn draußen ein Gewitter tobt. Ein Kulturvermittler bringt sich mit Ihnen in Sicherheit, sucht einen gemütlichen Unterschlupf und unterhält Sie mit “Ersatz-Geschichten” statt Sie für die Standard-Tour in den Regen zu zerren.
Manchmal entsteht der Eindruck, Audioguides würden aus Kostengründen statt des Personals angeschafft. Bei der Gestaltung eines Audioguides bzw. einer App gilt es aber, zahlreiche Regeln einzuhalten. Ob die Produktion dann billiger kommt als ein Kulturvermittler sei dahingestellt. Bevor es nämlich überhaupt erst zur Kreation eines Audioguides kommt, steht der zeitintensive Schritt, zahlreiche Dinge vorab zu überlegen und zu definieren. Die Texte sind wohldurchdacht auszuwählen und in vertretbarer Länge zu formulieren. Die Forschung entwickelt sich permanent weiter, sodass Textpassagen im Programm anpassbar sein müssen, der leichteren Hörbarkeit wegen von verschiedenen professionellen Sprechern besprochen werden sollen etc. Tanja Praske erläutert in ihrem Blog KULTUR-MUSEUM-TALK, wie schwierig das Texten für einen Audioguide ist und fasst Tipps von Astrid Pellengahr zusammen (Schreiben fürs Hören – Audioguides und Apps, 18.02.2016).
Ganz verteufeln möchte ich Audioguides nicht, es gibt durchaus auch gute Beispiele, die als wunderbare Ergänzung dienen. Der IPad-Guide beispielsweise, den man sich auf der Burg Vordingborg (Dänemark) ausleihen kann, bietet neben dem klassischen Rundgang auch einen passenden Besichtigungs-Soundtrack und Augmented Reality-Videos zur Visualisierung des mittelalterlichen Aussehens der Burg.
Fazit: “Wieso, werte Leserschaft, ist die Wertschätzung gegenüber Kulturvermittlern in unserer Gesellschaft derart gering?” Ein guter Vermittler entführt Sie für eine kurze Zeit in eine fremde Kultur, Zeit oder ein Themengebiet, unterhält sie mit kurzweiligen Geschichten und dabei lernen Sie noch etwas neues. Trotzdem kostet ein Führungsticket oft weniger als ein Audioguide und die Kulturvermittler müssen unter prekären Arbeitsverhältnissen leben (M. Steinberger, So prekär arbeiten Kunstvermittler in Österreich, Der Standard, 04.11.2014 – leider immer noch aktuell!).
Ich persönlich wähle immer die persönliche Führung anstelle des Audioguides wenn vorhanden, da ein Museumsbesuch für mich eine aktive inhaltliche Auseinandersetzung bedeutet. Folglich sehe ich keinen Sinn darin, Kulturvermittler gänzlich durch Audioguides zu ersetzen. Als zusätzliches Tool mögen sie durchaus ihre Berechtigung haben, beispielsweise für Besucher, die außerhalb der Führungszeiten kommen; oder auch als Mittel, tiefer in die Materie einzutauchen als das bei einer einstündigen Führung der Fall sein kann. Bevor Sie das nächste Mal zum Audioguide greifen, ihre Einkäufe selbst einscannen oder an der Zapfanlage zahlen statt direkt in der Tankstelle, denken Sie bitte kurz darüber nach, ob Sie nicht lieber einen Arbeitsplatz sichern wollen – auch wenn es ein unsicherer und schlecht bezahlter sein mag, denn wer weiß, Ihr Arbeitsplatz könnte als nächster wegrationalisiert werden.